Keine Keynote über die Zukunft des Fernsehens, keine Aktien-Diskussion, keine Serienempfehlung und kein Marketingvortrag kommt inzwischen ohne das Wort „Netflix“ aus. Netflix ist das neue „Apple“. Fehlt nur noch, dass Menschen in ihre small-talks willkürlich das Wort „Netflix“ einstreuen, um kompetenter und visionärer zu wirken. Kürzlich habe ich im Videostream eine Diskussionrunde von Radioverantwortlichen verfolgt, die über die Entwicklung und Zukunft „ihres“ Mediums philosophiert haben. Und natürlich wurde auch da der Vergleich zu Netflix gezogen. Unter anderem erzählte ein Panel-Teilnehmer, wie innovativ Netflix doch sei, dass die Nutzer z.B. das Intro von Serien skippen könnten! So etwas würden Radiosender gar nicht erfinden, obwohl es doch so nahe liege. Der Tenor der ganzen Veranstaltung war: „Schaut, wie innovativ Netflix und Co. sind, und werdet auch so!“
Beim Thema „Intro-skippen“ fiel mir ein, dass ich schon zu VHS-Zeiten das Intro vorgespult habe, deshalb erschien mir dieser Vergleich des Radiokollegen wenig innovativ zu sein. Aber um die Skip-Funktion geht es hier nicht. Vielmehr um die vermeintliche Erleuchtung, die viele Netflix-Jünger erreicht hat, seitdem sie den Streaming-Dienst nutzen und dessen Aufstieg erleben. Und so sind sie, wie einst die Apple-Jünger, im ganzen Land unterwegs und erzählen bei jeder Podiumsdiskussion, wie einzigartig das Unternehmen doch sei. Im Vergleich zu Netflix stinke das Deutsche Fernsehen natürlich richtig ab. Und deshalb wird keine Möglichkeit ausgelassen, den hiesigen Sendern jedes Mal dieselbe Netflix-Sauce aufs Brot zu schmieren.
Meine vermeintlichen Lieblingssätze in diesem Zusammenhang sind:
„Wenn die TV-Sender in Deutschland genauso hochwertige Serien wie Netflix produzieren würden, dann hätten sie auch mehr Zuschauer!“
„In Deutschland wagt sich keiner an anspruchsvolle Filmstoffe, Netflix traut sich viel mehr!“
„Netflix achtet nicht auf die Quote. Die TV-Sender in Deutschland hingegen sind quotenhörig.“
„Netflix macht viel mehr Research und kennt seine Kunden besser, als deutsche Fernsehsender.“
„Netflix hat eine Skip-Taste eingeführt, mit der man das Intro überspringen kann! So etwas hat in Deutschland noch keiner entwickelt!“
bla bla bla.
Jeder Impulsvortrag in dem das Wort „Netflix“ fällt, zielt in eine Richtung: „Werde so wie Netflix und Du wirst erfolgreich!“ Und genau das ist absoluter Bullshit. Ich glaube der Schlüssel zum Erfolg, den sowohl Apple als auch Netflix gefunden haben, ist ein anderer: In erster Linie vergleichen die beiden Unternehmen sich NICHT mit der Konkurrenz. Ihnen sind ihre Gegner scheiß egal. Sie verwenden nicht ihre Energie darauf, sie permanent zu analysieren, um sie eines Tages besiegen zu können.
Die Netflix-Methode
Erfolgreiche Unternehmen konzentrieren sich auf sich selbst. Sie hören nicht auf das, was andere ihnen raten. Sie sind unterwegs auf ihrem eigenen Weg und nicht auf einem platt getrampelten Pfad. Sie wollen das Leben ihrer Kunden besser machen, ihnen helfen Probleme zu lösen. Das ist der Motor, der sie antreibt und innovativer macht als die anderen.
Wenn man also selbst Netflix werden will, dann macht es keinen Sinn auf Netflix zu schauen, das Unternehmen zu glorifizieren und Ideen zu kopieren. Sondern man muss sich auf seine eigenen Stärken, sein übergeordnetes Ziel konzentrieren und dabei jeden Tag ein Stück besser werden. Bis man sich eines Tags umschaut und plötzlich sieht, wie der eigene Gegner hinter einem liegt.
ps: Trotzdem kann es nicht schaden, jetzt noch Netflix-Aktien zu kaufen, die Kursentwicklung ist fulminant. 🙂